Sy Hersh hat bei Substack ein investigatives Stück veröffentlicht, in dem er den USA vorwirft, hinter dem Anschlag auf die Nordstream-Pipelines zu stecken. Das löst erwartbar einen Glaubenskampf aus: Was nicht wahr sein darf, kann nicht wahr sein. Oder auch: Was unbedingt wahr sein muss, soll unbedingt wahr sein.

Das Stück selbst basiert auf eine einzige (anonyme) Quelle. Der Vorwurf, dass sich Hersh zu sehr auf Einquellen-Recherchen stützt, wird bei ihm regelmäßig geäußert. Zugleich ist das Stück sehr detailliert, er müsste also einer elaborierten Täuschung aufgesessen sein (was ihm im Zusammenhang mit seiner Berichterstattung über die mutmaßlichen Giftgas-Angriffe in Syrien vorgeworfen wurde).

Betrachtet man das Motiv, die Pipeline zu zerstören, ergibt der Fingerzeig auf die USA Sinn. Deutlich mehr zumindest als der routinierte Verweis auf Russland.

Am Ende muss jede/r selbst entscheiden. Aber eben nicht als Glaubensfrage, sondern rational. Ich selber zweifle nicht an der Integrität Hershs. Die Fälle JFK (Nutzung offensichtlich gefälschter Dokumente) und die fragliche Bin-Laden-Theorie wecken aber auch berechtigte Zweifel.

Immerhin wächst so der Druck auf die Ermittler vor Ort, endlich mehr Transparenz zuzulassen und detaillierte Ergebnisse vorzulegen.

Ich muss in letzter Zeit häufig an diese Karte denken. Sie zeigt Ergebnisse einer UN-Abstimmung im Dezember 2022 über eine „neuen Wirtschaftsordnung“ nach Covid-19 und im Zeichen der Rezession.

Klar, UN-Abstimmungen sind immer Festspiele der Heuchelei. Ich glaube nicht, dass Saudi-Arabien an einer gerechteren Wirtschaftsordnung ein gesteigertes Interesse hat. Oder dass von dieser Wirtschaftsordnung in Simbabwe und Myanmar besonders viel bei den Bewohnern ankommen würde.

Aber dennoch ist das die Skizze einer Nord-Süd-Blockbildung – die westlichen Industrienationen plus Japan und Südkorea auf der einen Seite; der globale Süden mit Russland und China auf der anderen.

Es gibt genügend Signale. Den Empfang für Lawrow in Südafrika zum Beispiel. Oder die bröckelnden Beziehungen zwischen der EU und Lateinamerika. Oder diese Analyse des ehemaligen US-Botschafters in Saudi-Arabien über die Abwendung des Südens vom Westen. Um nur drei Meldungen/Artikel zu nennen, die mir in den letzten Tagen begegnet sind.

Es ist durchaus ironisch: Diejenigen, die intensiv über symbolische Dekolonisierung diskutieren und dabei auf die Vergangenheit blicken, sind oft blind für die reale politische Abkopplung zwischen Norden und Süden, die in der Gegenwart stattfindet.

Vor zwölfeinhalb Monaten scheiterte der Versuch, im Rahmen der Vereinten Nationen die Ächtung vollständig autonomer tödlicher Waffensysteme (landläufig: Killerroboter) zu beschließen – unter anderem am Widerstand aus den USA, Russland und Israel. Und das, obwohl man sich seit 2014 um ein Rahmenwerk bemüht hatte.

Diese Meldung der AP lässt erahnen, welch bittere Konsequenzen dieses Scheitern haben wird.

Ukraine’s digital transformation minister, Mykhailo Fedorov, agrees that fully autonomous killer drones are “a logical and inevitable next step” in weapons development. He said Ukraine has been doing “a lot of R&D in this direction.”

“I think that the potential for this is great in the next six months,” Fedorov told The Associated Press in a recent interview.

Der Chef des Switchblade-Herstellers Aerovironment rechnet in drei Jahren mit den notwendigen Policy-Änderungen (bei den Käufern der Drohne), den menschlichen Faktor aus dem Entscheidungsloop herauszunehmen. Technisch ist das prinzipiell nicht schwierig.

Via Noemag (und John Ellis):

  • Beton ist nach Wasser die am stärksten verbrauchte Substanz weltweit.
  • Jahresverbrauch: 33 Milliarden Tonnen.
  • Für diese Produktion sind vier Milliarden Tonnen Zement jedes Jahr notwendig – das ist mehr, als in der gesamten ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verbraucht wurden. Und eine Milliarde Tonnen mehr, als wir jährlich essen.
  • Jedes Kilogramm Zement produziert mehr als ein halbes Kilogramm CO2.
  • Die CO2-Emissionen der Zementindustrie liegen mit acht Prozent der weltweiten Emissionen deutlich höher als die der Luftfahrt (zwei bis drei Prozent).
  • Wenn Zement ein Land wäre, wäre es der drittgrößte CO2-Emissionsproduzent hinter den USA und China.
  • Quintero, die chilenische Region mit den meisten Zementfabriken, trug wegen der starken Umweltverschmutzung den Spitznamen „zona de sacrificio“ – die Opferzone.

 

In meiner ehemaligen Wahlheimat San Francisco konzentrierte sich gestern für einen Moment die ganze Bandbreite unseres Zeitgeschehens. Irgendwie.

Auf der „Clinical Trials on Alzheimer’s Disease Conference“ stellten Forscher die Ergebnisse eines Feldversuchs mit einem neuen Alzheimer-Medikament vor. Offenbar ist es mit diesem Medikament wirklich möglich, die Alzheimer-Entwicklung zu verlangsamen. Ein historischer Durchbruch.

Kurz darauf beschloss der Stadtrat von San Francisco, künftig den Einsatz von Killerrobotern im Polizeibereich zu erlauben. Die Polizei von San Francisco besitzt solche Roboter noch nicht und darf sie auch nur in besonderen Situationen (und von Menschen gesteuert) einsetzen. Aber auch das ist: ein historischer Moment.

Daniel Little hat in seinem Blog anlässlich 90 Jahre Holodomor Reiseerinnerungen Arthur Koestler zusammengetragen, der 1932/33 die Sowjetunion und dort auch die Ukraine besuchte. Dort erlebte er den Beginn der großen Hungersnot:

„The train puffed slowly across the Ukrainian steppe. It stopped frequently. At every station there was a crowd of peasants in rags, offering ikons and linen in exchange against a loaf of bread. The women were lifting up their infants to the compartment windows — infants pitiful and terrifying with limbs like sticks, puffed bellies, big cadaverous heads lolling on thin necks. I had arrived, unsuspecting, at the peak of the famine of 1932-33 which had depopulated entire districts and claimed several million victims. Its ravages are now officially admitted, but at the time they were kept secret from the world. The scenes at the railway-stations all along our journey gave me an inkling of the disaster, but no understanding of its causes and extent. My Russian travelling companions took pains to explain to me that these wretched crowds were kulaks — rich peasants who had resisted the collectivisation of the land and whom it had therefore been necessary to evict from their farms.“

Arthur Koestler zu lesen, und damit auch seine Erfahrung der ideologischen Verblendung nachzuerleben, ist sicherlich immer eine gute Idee.

In der chinesischen Provinz Heilonjijang müssen Läden, die bei Covid-Kontrollen negativ aufgefallen sind, eine gelbe Karte in ihr Schaufenster hängen. Wenn sie die Mängel nicht beheben, werden sie für einige Zeit geschlossen.

Wie What’s On Weibo berichtet, sind solche Kontrollen aber oft willkürlich – zum Beispiel weckten die Beamten eine Laden-Inhaberin, die in ihrem von innen abgeschlossenen Shop ohne Maske geschlafen hatte. Auf Social Media gibt es allerdings auch Gegenwind, wenn diese Willkür offensichtlich wird. Schuld sind natürlich immer die ausführenden Beamten, nie die Regierung mit ihrer verheerenden Null-Covid-Politik.

Ich glaube, obwohl wir zu wissen glauben, wie grotesk Zero Covid in China ist, haben wir keine Ahnung von der Willkür und Menschenfeindlichkeit, mit der vorgegangen wird (z.B. Leute mit Covid-Kontakt im Bus aus der Stadt karren und irgendwohin bringen, damit sie nicht gezählt werden, etc.).

Vielleicht der interessanteste Verlag gegenwärtig. Ich lese gerade „The Tribe“, ein Buch, nahe dran am Leben in Kuba. Und mit „What Have You Left Behind?“ (Aufzeichnungen aus dem Jemen seit 2015) ist nun schon wieder ein Buch erschienen, dem ich gerne mein knappes Zeitbudget widmen würde. Und: Das physische Design ist derart überzeugend, dass ich mich da auch nicht mit der E-Book-Version begnügen würde.