In meiner ehemaligen Wahlheimat San Francisco konzentrierte sich gestern für einen Moment die ganze Bandbreite unseres Zeitgeschehens. Irgendwie.

Auf der „Clinical Trials on Alzheimer’s Disease Conference“ stellten Forscher die Ergebnisse eines Feldversuchs mit einem neuen Alzheimer-Medikament vor. Offenbar ist es mit diesem Medikament wirklich möglich, die Alzheimer-Entwicklung zu verlangsamen. Ein historischer Durchbruch.

Kurz darauf beschloss der Stadtrat von San Francisco, künftig den Einsatz von Killerrobotern im Polizeibereich zu erlauben. Die Polizei von San Francisco besitzt solche Roboter noch nicht und darf sie auch nur in besonderen Situationen (und von Menschen gesteuert) einsetzen. Aber auch das ist: ein historischer Moment.

Daniel Little hat in seinem Blog anlässlich 90 Jahre Holodomor Reiseerinnerungen Arthur Koestler zusammengetragen, der 1932/33 die Sowjetunion und dort auch die Ukraine besuchte. Dort erlebte er den Beginn der großen Hungersnot:

„The train puffed slowly across the Ukrainian steppe. It stopped frequently. At every station there was a crowd of peasants in rags, offering ikons and linen in exchange against a loaf of bread. The women were lifting up their infants to the compartment windows — infants pitiful and terrifying with limbs like sticks, puffed bellies, big cadaverous heads lolling on thin necks. I had arrived, unsuspecting, at the peak of the famine of 1932-33 which had depopulated entire districts and claimed several million victims. Its ravages are now officially admitted, but at the time they were kept secret from the world. The scenes at the railway-stations all along our journey gave me an inkling of the disaster, but no understanding of its causes and extent. My Russian travelling companions took pains to explain to me that these wretched crowds were kulaks — rich peasants who had resisted the collectivisation of the land and whom it had therefore been necessary to evict from their farms.“

Arthur Koestler zu lesen, und damit auch seine Erfahrung der ideologischen Verblendung nachzuerleben, ist sicherlich immer eine gute Idee.

Wie wäre es damit: Berlin verrät der bayerischen Dönerbranche, dass Gemüsekebap eine ziemlich gute Idee ist (und schickt ein paar Würzrezepte gen Süden). Im Geiste des kulturellen Austauschs übergibt Bayern im Gegenzug Berlin seine Pfefferbrezen-Rezepte (und schickt vielleicht mal ein paar Bäcker zur Entwicklungshilfe in die Stadt, SOS aus Friedrichshain!).

Das wäre ein absolutes Win-Win-Geschäft. Vor allem für mich natürlich.

Wenn dein Ministerialapparat tiefschwarz ist und Dinge an die Oberfläche spült, die dein Koalitionspartner mit großer Geste auf die Waage gegen echtes und vermeintliches Zukurzgekommen-Sein legen kann… dann bist du als SPD in einem Dilemma.

Kann sich noch jemand daran erinnern, als dem Koalitionsvertrag vor einem Jahr eine klar erkennbare FDP-Handschrift bescheinigt wurde? Die FDP offenbar nicht. Allerdings harrt die Gleichung „Mehr Theater = bessere Gesetze = höhere Umfragewerte“ weiterhin des politischen Beweises.

(Apropos Theater: Frau Faeser sollte sich nicht beschweren, sondern sich lieber bei den politischen Winston Wolfs in ihrem Umfeld bedanken, dass ihre Schmierentheater-Inszenierung „Red Schönbohm“ offenbar folgenlos bleiben wird).

Heute beginnt in Addis Abeba (und online) das 17. Internet Governance Forum (IGF). Dazu sei diese hilfreiche Analyse von Milton Mueller von der Georgia Tech empfohlen (wo es einen Schwerpunkt-Forschungszweig zu Internet Governance gibt). Die Vereinten Nationen, so lässt sich verkürzt sagen, versuchen das IGF wieder stärker als bislang in den eigenen institutionellen und strategischen Orbit zu ziehen. Weil man in Digitalisierungsfragen wieder in die Vorhand kommen möchte, nachdem man in den meisten Fragen nur die Beobachterrolle hat. Dass das gerade kein guter Zeitpunkt ist, versteht sich von selbst. Denn das Splinternet nimmt immer deutlicher Formen an. Mueller:

„The fine-sounding pronouncements of the UN seem to be designed to maintain the fiction that nation-states can cooperate in the governance of cyberspace when all around us governments are fracturing into competing power blocs“

 

 

Der Economist erinnert in seinem Leitartikel diese Woche daran: Der „Inflation Reduction Act“ der USA bietet der europäischen Industrie starke Anreize, nach Übersee zu gehen (wie bekanntlich auch Lindner und Habeck kritisieren).

Nun sagt der Economist: Hallo Herr Biden, bitte doch mal strategisch denken und in der Rivalität mit China nicht die Europäer unter den Bus schmeißen, sondern ihren Firmen Zugang zu Energie-Subventionen geben und die Energiepolitik insgesamt transatlantisch ausrichten.

Das ist zwar schön und gut, aber selbst wenn Biden darauf hören würde (was nicht gesagt ist): Ein America-First-Präsident ab 2025 würde sehr wahrscheinlich genau eine solche Industriepolitik explizit verfolgen, und zwar deutlich aggressiver. Und da die Energiekosten in den USA mindestens für den Rest der 2020er deutlich unter denen in Europa liegen werden, sind die Erfolgsaussichten nicht schlecht. Das signalisiert: In der Industrie- und Handelspolitik wird sich die Zukunft der transatlantischen Beziehungen entscheiden, nicht im Bereich der Militärbündnisse.

Venkatesh Rao ($)

„This fifteen-year old battleground has served its time, and unlike a physical country, is not worth fighting over anymore. It has turned into a theme park of the history of culture wars 2007-15, best understood as a set of entertaining rides, like the new “Vox Populi, Vox Dei” Democracy Rollercoaster, and other coming attractions.“

(Hier mein Mastodon-Profil)

Was Falk schreibt:

„Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat auf Basis eines Satire-Magazin-Berichts die maßgebliche IT-Sicherheitsbehörde der Bundesrepublik in Misskredit gebracht. Sie hat offenkundig nicht gewusst, dass sie Schönbohm nicht beliebig in den einstweiligen Ruhestand versetzen kann und vollführt seitdem wildeste Verrenkungen auf Kosten der Steuerzahler, um Schönbohm einen anderen Posten zuzuweisen, weil sie das muss. Bis heute gibt es keinen Vorwurf, der so stichhaltig begründet wurde, dass Faesers angeblich erschüttertes Vertrauen in Schönbohm nachvollziehbar wäre.“

COP27 ist ein deutliches Signal – dafür, dass man Klimapolitik nicht auf großen Konferenzen, sondern in ständigen, kleineren Gremien aushandeln sollte. Das sagt der emeritierte Klimawissenschaftler und Aktivist Bill McGuire. Ein Problem, dass er damit hat: Unternehmen aus dem Bereich fossiler Energien nutzen COP27 ebenfalls dafür, Verträge abzuschließen.

Zitat:

„The all-encompassing nature of the annual Cop climate conference provides one enormous open goal for fossil fuel representatives; an unprecedented opportunity to kettle ministers and heads of state from every corner of the planet, but particularly the majority world, to browbeat them into handing over their untouched fossil fuel reserves for exploitation. At Cop27, the sharks were circling around African nations, desperate to persuade them of the urgent need for a “dash for gas” and looking for a very large piece of the action.“

Natürlich ist auch der deutsche Gas-Deal mit dem Senegal Teil dieses „Wettrennens um das Gas“.