Der Preis, den Benjamin Netanjahu für die vorläufige Verschiebung der „Justizreform“ zu zahlen bereit ist: Iramar Ben-Gvir, ultrarechter Minister für öffentliche Sicherheit, erhält offenbar die Zusage für die Schaffung einer „Nationalgarde“.

Nun lässt sich argumentieren, dass eine  Eingreiftruppe angesichts der ständigen Spannungen in den besetzten Gebieten sinnvoll ist. Oder aber, dass es keine gute Idee ist, einem Rechtsextremen und Hardcore-Siedler eine eigene Miliz zu unterstellen.

Simon Kuper stellt in der FT die Reformfrage: Braucht Frankreich eine sechste, oder zumindest reformierte fünfte Republik? Er diagnostiziert Stasis durch Technolkratie und eine regierende Elite, die sich letztlich dynastisch organisiert. Institutionell sieht er die fortgesetzte Entwertung des Parlamentarismus durch die starke Rolle, die der Präsident einnimmt. Dessen Rolle wiederum durch die von de Gaulle eingeführte Direktwahl noch zusätzlich aufgeladen, inzwischen sogar überfrachtet ist.

Weg von der Direktwahl, hin zur Stärkung des Parlaments und der Regionen: Das ist der Kern der Forderung Kupers (und einige Reformer, auf die er sich bezieht). Und er sieht ausgerechnet Macron als denjenigen, der diese Reformen durchführen könnte.

Nicht nur deshalb ein äußerst lesenswerter Text, sondern auch wegen solcher punktgenauer Beobachtungen:

„It was said of US President George HW Bush that he reminded every woman of her first husband. Macron reminds every French person of their boss: an educated know-it-all who looks down on his staff.“

Ilan Manor weist im Digital Diplomacy Blog noch einmal auf das Offensichtliche hin, das aber historisch betrachtet alles andere als nebensächlich ist.

Diplomatie, besonders Militärhilfe und speziell Waffenlieferungen, war früher eine Sache höchster Geheimhaltung.

Das hat sich inzwischen durch die Digitalisierung geändert: Länder verkünden (und Twitter) Waffenlieferungen, die Ukraine bestätigt und dankt (auch über Twitter).

Die ukrainische Regierung übt über Social Media auch Druck aus:

„Ukrainian officials flood social media with images documenting the unbelievable scale of destruction inflicted by Russia. These images are accompanied by please for advanced weapons to help fight Russia. Other times, official Ukrainian accounts publish videos depicting the fetes of Ukraine’s armed forces promising that with adequate arms Ukraine could defeat Russia once and for all saving both Ukraine and the world. Finally, there are those accounts ran by Ukrainian diplomats that urge the international community to help prevent war crimes and genocide by arming Ukraine to the teeth. These tweets are then legitimized by OSINT experts, academics, opinion makers and even former military officers. Some tweets are also endorsed by Ukrainian digital Ambassadors such as ‘Star Wars’ Hark Hamill or historian Timothy Snyder. Next, the tweets are shared by hundreds of thousands of Twitter users. Some amplify the cry for help, others support the promise of defeating Russia while still others fear the growing loss of life. The cumulative effect of all these Shares, Likes and Re-Tweets should not be understated.“

Dadurch steigt der Druck auf den Westen, weitere Waffen zu liefern.

Zugleich haben auch diese Länder ihre Interessen: So nutzt Großbritannien zum Beispiel die Panzerlieferungen, um sich vom Image als introvertierte, nach innen ausgerichtete Nation zu lösen und sich als global-orientierte Macht zu präsentieren.

Reconstructing Ukraine ($)

Vračić was fourteen then, taking shelter from Serbian shells in the basement of her home in Sarajevo. “We were listening to the radio,” she remembered, “and they were playing patriotic songs about our army being so strong and how, whenever this was over, we would be celebrating.” But thirty years later there was only bitterness. “This is what I really fear for Ukrainians,” she said:

They should really brace themselves for lots of disappointments that will come.… People who were not even necessarily in Ukraine will be the ones celebrated afterwards for the successes of the Ukrainian army. People who are not on the front lines will become rich overnight. War profiteering and all the stuff that Ukrainians don’t necessarily see at this moment will come, and these disappointments will hurt them more than the actual war.

 

 

Beim Blick auf die USA ist es wichtig, zu verstehen: Der Trumpismus ist eine Bewegung, die ohne ihren Begründer funktioniert. Wer „trumpy“ ist, entscheidet die Basis. Und was belohnt wird, hat sich vergangene Woche im Repräsentantenhaus gezeigt. Zitat aus dieser Analyse @Vanity Fair:

„In 2015, Trump led the base. But by 2020, Trump had lost control of the monster he created. The base decided to reward social media stunts with small-dollar donations. Fox News and the right-wing internet ecosystem created a world of mini Trumps, little congressional bomb-throwers like Boebert, Marjorie Taylor Greene, and Matt Gaetz. More motivated by fame than governing, these members seem to want what Real Housewives want: to build their brands. These congressional Kardashians don’t have a governing principle beyond obstruction and attention, of which they’ve all been getting amid this week’s party meltdown.“

Vor zwölfeinhalb Monaten scheiterte der Versuch, im Rahmen der Vereinten Nationen die Ächtung vollständig autonomer tödlicher Waffensysteme (landläufig: Killerroboter) zu beschließen – unter anderem am Widerstand aus den USA, Russland und Israel. Und das, obwohl man sich seit 2014 um ein Rahmenwerk bemüht hatte.

Diese Meldung der AP lässt erahnen, welch bittere Konsequenzen dieses Scheitern haben wird.

Ukraine’s digital transformation minister, Mykhailo Fedorov, agrees that fully autonomous killer drones are “a logical and inevitable next step” in weapons development. He said Ukraine has been doing “a lot of R&D in this direction.”

“I think that the potential for this is great in the next six months,” Fedorov told The Associated Press in a recent interview.

Der Chef des Switchblade-Herstellers Aerovironment rechnet in drei Jahren mit den notwendigen Policy-Änderungen (bei den Käufern der Drohne), den menschlichen Faktor aus dem Entscheidungsloop herauszunehmen. Technisch ist das prinzipiell nicht schwierig.

Vorab: Ich bin kein Militärexperte. Die Diskussion darüber, ob Deutschland bis 2026 die notwendigen Umbaumaßnahmen und Fluggenehmigungen für die F-35-Kampfjets hinbekommt, scheint mir allerdings nicht die dringlichste Frage zu sein.

Das eigentliche Thema: Dieses Kampfflugzeug ist ein bislang Milliarden- bzw. Billionengrab und technisch unreif. Die Probleme sind so groß, dass das Pentagon dieses Jahr Teile der unabhängigen Tests unter Verschluss hielt. In Südkorea sind F-35-Flugzeuge immer wieder wochen- bis monatelang außer Betrieb.

Nun lässt sich sagen: Das sind Kinderkrankheiten, die bis 2026 sicherlich auskuriert sind. Allerdings wird der Flieger schon seit zwei Jahrzehnten entwickelt. Insgesamt bringt diese Milliarden-Investition also ein beträchtliches Risiko in sich (von der Frage, was Frankreich und Airbus davon halten, gar nicht zu reden).

Um diese lesenswerte US-Analyse aus dem März 2022 zu zitieren:

„More than twenty years into the F-35’s development, the aircraft remains in every practical and legal sense nothing more than a very expensive prototype. The simple fact that the contractors and the program office haven’t been able to deliver an aircraft whose effectiveness has been proven through a full operational testing program suggests the original Joint Strike Fighter concept was flawed and beyond any practical technological reality. With little progress and significant regression in 2021, it seems that the F-35 program will remain in its current stagnant state for the foreseeable future.

Solche Faktoren sollte man auch und gerade in der Zeitenwende-Ära berücksichtigen. Aber wenn dann in der zweiten Hälfte Jahrzehnts das Ausmaß der Probleme klar wird, heißt es sicher wieder: „Das hat wirklich niemand ahnen können.“

Der Economist erinnert in seinem Leitartikel diese Woche daran: Der „Inflation Reduction Act“ der USA bietet der europäischen Industrie starke Anreize, nach Übersee zu gehen (wie bekanntlich auch Lindner und Habeck kritisieren).

Nun sagt der Economist: Hallo Herr Biden, bitte doch mal strategisch denken und in der Rivalität mit China nicht die Europäer unter den Bus schmeißen, sondern ihren Firmen Zugang zu Energie-Subventionen geben und die Energiepolitik insgesamt transatlantisch ausrichten.

Das ist zwar schön und gut, aber selbst wenn Biden darauf hören würde (was nicht gesagt ist): Ein America-First-Präsident ab 2025 würde sehr wahrscheinlich genau eine solche Industriepolitik explizit verfolgen, und zwar deutlich aggressiver. Und da die Energiekosten in den USA mindestens für den Rest der 2020er deutlich unter denen in Europa liegen werden, sind die Erfolgsaussichten nicht schlecht. Das signalisiert: In der Industrie- und Handelspolitik wird sich die Zukunft der transatlantischen Beziehungen entscheiden, nicht im Bereich der Militärbündnisse.