Swing and a Miss: "The Social Dilemma" Didn't Get It by Michael O. ChurchMichael O. Church ([object Object])
Failing to address the root causes of technological toxicity, the video essay amounts to no more than a missed opportunity.

Michael O. Church, hier bereits häufiger erwähnt, nimmt sich in der ersten Edition seine Substack-Newsletters (den ich hiermit empfehle) die Netflix-Doku „The Social Dilemma“ vor. Genauer: dessen unterkomplexe Darstellung, wie in der Tech-Branche Entscheidungen fallen und was Verantwortung bedeutet.

„Silicon Valley is not a bastion of cosmic evil. It is not Mordor or R’lyeh. Technology executives, in general, do not set out to damage the world for damage’s own sake. What we have is not cosmic evil, but the banal kind. The whole system runs on metrics: daily active users, clicks per hour, ads served, time of use, viral growth, et cetera. Each worker is enslaved to the short-term fluctuations of indicators over which he has limited control, and is usually pushed to do unethical things by the need to keep the numbers in line. Even software engineers are promoted, demoted, or fired based on the number of tickets they close. Senior product managers live or die based on whether they can get users to spend five more seconds within walled gardens. At the lower levels, no one’s trying to foster addiction or radicalization— they’re just trying to survive.“

Dass für Michael Church das Problem im „Konzern-Kapitalismus“ liegt, gehört zu seiner bekannten Haltung. Und so ist das ganze Essay eine Abrechnung mit unserer Gegenwart.

The Supreme Court and Normcore by Henry Farrell (crookedtimber.org)

Sollten die US-Demokraten – im Falle eines Sieges von Biden und einer Übernahme des Senatsmehrheit – den Obersten Gerichtshof aufstocken? Henry Farrell von Crooked Timber argumentiert: Normen existieren nicht im Vakuum, sie müssen auch mit reziproken Maßnahmen gestützt werden.

What this means, pretty straightforwardly, is that norms don’t just rely on the willingness of the relevant actors to adhere to them. They also rely on the willingness of actors to violate them under the right circumstances. If one side violates, then the other side has to be prepared to punish. If one side threatens a violation, then the other side has to threaten in turn, to make it clear that deviating from the norm will be costly. A norm governing relations between two opposing sides, where one side acts strategically (to exploit opportunities) and the other naively (always to support the norm) can’t be sustained.

Von einem Gleichgewicht der Abschreckung kann in den USA nicht mehr die Rede sein, für die Demokraten gliche eine Aufstockung des Supreme Court dem Versuch, Gleichgewicht durch Schrecken zu schaffen.

Der angesehene Rechtskorrespondent Jeffrey Toobin hat im New Yorker einen Vier-Punkte-Plan formuliert, den die Demokraten im Falle des Gewinns von Kongress und Weißem Haus umsetzen könnten:
1. Filibuster im Senat abschaffen
2. Washington DC und Puerto Rico zu Bundesstaaten erklären
3. Per Gesetz die Zahl von Bundesrichtern an niedrigeren Gerichten erhöhen
4. Die Zahl der Obersten Richter um zwei bis drei aufstocken.

AI ethics groups are repeating one of society’s classic mistakes by Abhishek Gupta und Victoria Heath ([object Object])
Too many councils and advisory boards still consist mostly of people based in Europe or the United States.

The newly formed Global AI Ethics Consortium, for example, has no founding members representing academic institutions or research centers from the Middle East, Africa, or Latin America.

(Hinter dem Hinweis verbirgt sich der Hinweis des Autorenduos, dass ihr Montreal AI Ethics Institute das anders macht).

Das Parlament als umstrittener Ort der deutschen Demokratiegeschichte by Claudia C. GatzkaClaudia C. Gatzka (bpb.de)

Ein Mangel unserer Gegenwart ist das Fehlen von Kontext: Verhältnisse, Institutionen und Ideen wirken wie Monolithen, herausgerissen aus Zeit und Werdegang. Das gilt auch für den Bundestag. Claudia C. Gatzka reißt das Thema Parlamentarismus in Deutschland an, ohne sich nur an Weimar abzuarbeiten. Das Essay hätte von mir aus gerne länger sein können.

Liberal Conservatism by Andrew Koppelman (newramblerreview.com)

Conservatism at its core, as Roger Scruton understands it, “tells us that we have collectively inherited good things that we must strive to keep”. It “starts from a sentiment that all mature people can readily share: the sentiment that good things are easily destroyed, but not easily created”. Our inheritance “brings with it not only the rights of ownership, but duties of trusteeship. Things fought for and died for should not be idly squandered. For they are the property of others, who are not yet born” (182).

Ein langes Essay, aber für die Ausarbeitung des modernen Konservatismus sehr hilfreich, auch wenn natürlich anglozentrisch.

Siehe auch:
Der diversifizierte Konservatismus (2013)

How Is a Disaster Made? by Andy Horowitz (laphamsquarterly.org)

Rather than asking if a disaster was man-made, therefore, we ought to ask, how was it made? The answer will have to include nature and human nature: water and wind, concrete and clay, politics and culture, conscious choices and unwilled accidents. Our sense of temporal scale, too, must change, because the timelines of human and environmental history are intertwined.

Umweltbundesamt: Streaming weniger klimaschädlich als gedacht by Christopher Jähnert ([object Object])

Das „als gedacht“ ist irgendwie schräg: Die ganze Debatte zum „Klimakiller Streaming“ beruhte in Deutschland bekanntermaßen vor allem auf einer Untersuchung zur Youtube-Bildauflösung, die durch die relativ übliche Digitalskepsis zum allgemeinen Befund wurde. Aber die Realität ist nunmal komplizierter.

Eine Erkenntnis aus der Studie ist, dass Mobilfunk-Datenübertragung CO2-intensiver als Wlan ist. Der Zyniker in mir sagt: Das passt ja dann gut, dass hierzulande angesichts der Bandbreiten-Probleme nur die wenigsten Menschen mit großem Genuss längere Videos über das Mobilfunknetz streamen können.

Huawei’s Struggles in European Telecoms by Jan Stryjak (counterpointresearch.com)

Huawei’s expulsion from all of Europe’s core networks seems to be a question of when, not if, and its European RAN business may be on the way out too. This will likely result in Europe playing catch-up in its 5G race with China and the US.

Ich bin mit solchen Prognosen vorsichtiger, aber ich muss anders als Jan Stryjak von Counterpoint Research auch keine steilen Thesen verkaufen. Immerhin hat sich für Open RAN (also eine modulare Architektur durch Trennung von Hardware und Software) eine Lücke aufgetan  – ganz entgegen dem Trend in Richtung proprietärer Komplettsysteme.

Job-Monitor: Nachfrage nach Digitalexperten bricht ein by Holger Schmidt (handelsblatt.com)

„Die Industrie hatte schon vor Corona das Innovationstempo gedrosselt und in der Krise noch einmal kräftig nachjustiert. Vor allem die Autoindustrie hat Innovationsprojekte wie die Entwicklung autonomer Autos oder Mobilitätsplattformen gestoppt, um sich auf das Kerngeschäft zu konzentrieren. Entsprechend ist der Rückgang der Stellenausschreibungen für Digitalprofis im Autoland Baden-Württemberg mit 43 Prozent deutlich stärker als in anderen Bundesländern ausgefallen. In Nordrhein-Westfalen sank die Nachfrage um 32 Prozent; in Bayern waren es 25 Prozent.“

Zu den Zahlen muss erwähnt werden, dass da ganz verschiedene Digitalberufe vermischt werden, zum Beispiel auch Social-Media-Manager, wo der Rückgang der Ausschreibungen besonders gravierend ist. Aber unter dem Strich verkörpert gerade die Autobranche auf vielen Ebenen das Deutschland des 21. Jahrhundert: Fahren auf Sicht, um die Substanz nicht zu gefährden, von der man in Wahrheit schon lebt.

Siehe auch:
„Das Umfeld hat sich gravierend verändert“

Covid-19 is spurring the digitisation of government by The EconomistThe Economist (economist.com)

Der Economist mit einem Rundblick auf die (meist fehlenden) Verwaltungsdigitalisierung und die Folgen während Covid-19. Ein Aspekt, wie bei vielen Corona-Themen: Die Krise hat nicht nur Fehlendes, sondern auch Schwachstellen offengelegt – zum Beispiel digitale Systeme, die für geringe Lasten konzipiert sind und bei größerer Nutzung zusammenbrechen.